von Steffen Gorski
Design hat immer irgendwie mit Zukunft zu tun. Als Designer:innen arbeiten wir stets am Ungewissen – wir wissen am Anfang eines Projekts noch nicht, was am Ende dabei heraus kommt.
Deswegen kann man Design auch als eine Art von Zukunftsforschung betrachten. Über Entwürfe, Experimente und Modelle tasten wir uns als Designer:innen im Entwurfsprozess schrittweise vom Ungewissen in Richtung Gewissheit, vom Abstrakten immer weiter ins Konkrete. Dabei ist das Nachdenken über Zukünftiges immer Teil von Design und wird zum Anlass genommen, gestalterische Positionen zu entwickeln und unsere Umwelt (neu) zu ordnen. Designer:innen sind prädestiniert dafür, die Gegenwart kritisch zu analysieren und Zukünftiges zu antizipieren.
Als Agentur beschäftigen wir uns viel damit, wie wir als Designer:innen in der Arbeit für unsere Kund:innen die Zukunft nicht nur erforschen, sondern sie auch positiv mitgestalten können. So versuchen wir, nicht nur Erfolg für unsere Auftraggeber:innen zu generieren, sondern auch auf eine bessere – d. h. vielfältigere, offenere und ehrlichere – Gesellschaft hinzuwirken.
Zwei Herangehensweisen an Zukunft
Das Zukünftige hat sowohl für Designer:innen als auch für Wissenschaftler:innen, Kunstschaffende und Schriftsteller:innen schon immer Neugier geweckt und Anlass zur forschenden Auseinandersetzung gegeben. Dabei haben sich im Laufe der Zeit unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema Zukunft herausgebildet. An den äußeren Enden dieses Spektrums stehen zwei Perspektiven, die bisweilen nur selten miteinander vereint werden: eine sachlich-wissenschaftliche und eine emotional-künstlerische.
Zukunft als Prognose auf Basis der Wirklichkeit
In einem traditionellen Wissenschaftsverständnis ist das Ziel jeder Forschung die objektive Erkenntnis. Forscher:innen versuchen herauszufinden, wie die Dinge wahrhaftig beschaffen sind. Davon erhoffen sie sich ein besseres Verständnis der Wirklichkeit. In der Zukunftsforschung werden durch empirisch gewonnene Erkenntnisse Voraussagen möglich, die anhand von Modellen errechnet werden oder auf Grundlage von Theorien als wahrscheinlich gelten.
Auch im Design hat – besonders in den letzten Jahren – die Orientierung an empirisch gewonnen Erkenntnissen stark an Bedeutung zugenommen. Vor allem in der Entwicklung digitaler Produkte werden zunehmend quantitative und qualitative Forschungsmethoden eingesetzt. Befragungen, Beobachtungen und die Auswertung des Nutzungsverhaltens liefern relevante Informationen für die Konzeption und kontinuierliche Weiterentwicklung erfolgreicher digitaler Produkte und Systeme.
Mit dem User-Centered-Design-Prozess und der zunehmenden Professionalisierung von User Experience Designer:innen werden empirische Forschungsmethoden immer stärker in den Alltag von Designer:innen integriert.
Zukunft als Erkundung von Möglichkeiten
Etwas anders sieht es typischerweise in den Künsten aus. Auch hier übt das Zukünftige eine besondere Faszination aus – aber die Auseinandersetzung damit ist seltener von naturwissenschaftlichem Interesse an Erkenntnis geprägt. Vielmehr versuchen Künstler:innen, Schriftsteller:innen und Gestalter:innen, wenn sie sich mit dem Thema Zukunft beschäftigen, verschiedene Möglichkeiten zu erkunden, wie die Welt sich entwickeln könnte.
Dabei kann es auch um wissenschaftsnahe Themen gehen, wie z. B. die Weiterentwicklung von Technologien. In den künstlerischen Auseinandersetzungen liegt der Schwerpunkt aber nicht auf den Technologien an sich, sondern häufig eher darauf, wie sie das Zusammenleben von Menschen in komplexen Gesellschaften auf sozialer und emotionaler Ebene beeinflussen.
Die künstlerischen Herangehensweisen an die Zukunft sind subjektiver, intuitiver und weniger von formalen Methoden geprägt als wissenschaftliche Ansätze. Damit sind sie auch freier und weniger an Konventionen und Traditionen gebunden. Gerade bildende Künstler:innen und Designer:innen nähern sich dem Zukünftigen eher experiementell über Versuch und Irrturm und nicht im wissenschaftlichen Sinn empirisch.
Zukunftszentriertes Design
Wissenschaftliche und künstlerische Ansätze stehen sich oft diametral gegenüber und werden nur selten miteinander vereint – es existiert eine unsichtbare Trennlinie zwischen Science und Fiction, obwohl das Erkenntnisinteresse und die Methoden viele Ähnlichkeiten aufweisen. Es gibt aber auch Schnittmengen – und Ansätze, die versuchen, künstlerische und wissenschaftliche Methoden miteinander zu vereinen.
Am deutlichsten wird das an utopischen und dystopischen Erzählungen in der Literatur. Sowohl ältere Werke wie Aldous Huxleys Brave New World oder George Orwells 1984 als auch jüngere Erzählungen wie Dave Eggers’ The Circle entwerfen Visionen von mehr oder weniger wünschenswerten zukünftigen Welten, die zwar maßgeblich von technologischen Entwicklungen geprägt sind. In den Erzählungen geht es dann aber nicht allein darum, wie Menschen mit Technologien, sondern vor allem darum, wie sie miteinander umgehen. Um solche vorausschauenden Erzählungen zu entwickeln, ist es wichtig, die Gegenwart analytisch zu durchleuchten und die gesammelten Erkenntnisse im kreativen Prozess verarbeiten zu können.
Design ist als Disziplin, die sich stets mit dem Zukünftigen und dem Werdenden beschäftigt, prädestiniert für eine produktive Zusammenführung wissenschaftlicher und künstlerischer Methoden. In der Praxis erleben wir, dass sich Designer:innen in der Ideenfindung oft entweder auf die eine oder die andere Seite verlassen – auf intuitive oder datengetriebene Ansätze. Wir kennen das selbst.
Mit unserer Herangehensweise, die wir Zukunftszentriertes Design nennen, versuchen wir, das Beste aus wissenschaftlich-sachlichen und künstlerisch-emotionalen Methoden zu vereinen. Auf Grundlage des Heutigen analysieren wir mit empirischen Methoden die Vergangenheit und den Status Quo von Unternehmen und Organisationen, ihren Prozessen und ihrer Kommunikation. Mithilfe von experimentellen, gestalterischen Methoden erkunden wir dann die Möglichkeiten, die diese Unternehmen und Organisationen zukunftsfähig machen können.
Dabei denken wir auch, aber nicht nur darüber nach, was unsere Auftraggeber:innen wirtschaftlich erfolgreich macht. Für uns geht es zusätzlich darum, sie durch eine progressive Haltung gesellschaftlich erfolgreich zu machen, indem wir Strukturen, Prozesse und Kommunikation so gestalten, das sie in eine Welt von morgen passen – eine Welt, die von Vielfalt, Transparenz, Vertrauen und ehrlicher Kommunikation geprägt ist. So bringen wir unsere Kund:innen nach morgen.
Weiterführende Literatur
Popp, Reinhold. Zukunftswissenschaft & Zukunftsforschung. Grundlagen und Grundfragen: Eine Skizze, Münster 2016
Cross, Nigel. Designerly Ways of Knowing, Basel 2007
Wuchterl, Kurt. Zum Verhältnis von Philosophie, Naturwissenschaft und Religion, Stuttgart 2011